Ist das Wort, der Begriff „Ehre“ schon zu alt, um heute noch eine Beziehung zur Ehre, vor allem zur Selbstehre und zur Selbstachtung zu haben?
Das mag sein. Ich fühle mich ja mittlerweile häufig und immer eindringlicher mit meinen Werten und Idealen wie ein Fossil. Tröstlich, wenn mir dann andere Fossilien, Petrifikationen, Versteinerungen – ich nenne sie liebe- und respektvoll Fossies – begegnen, denen es ähnlich geht. Und mit denen ich dann vielleicht sogar den einen oder anderen Wert, das eine oder andere Ideal teilen kann.
Die Ehre – Ein Fossil, eine Petrifikationen, eine Versteinerung?
Und damit sind wir schon bei meinem Thema. Schon mitten drin. Ist die Ehre also nur noch etwas fossiles, eine Versteinerung, um die wir uns, sofern wir keine Archäologen sind, nicht mehr zu kümmern brauchen. Ein Relikt aus vergangenen Zeiten an dem, weil schon lange nicht mehr lebendig, schon lange nichts mehr Liebenswertes zu finden ist? –
Auch das mag ja sein. Doch für mich, selbst Fossil und Eigenbrötler, ein Sonderling, gilt das nicht. Für mich kann das nicht gelten. Einfach schon deshalb nicht, weil ich dieses „Nicht vorhanden sein des Ehrbezugs“ gar nicht begreifen kann. Weil ich das nicht verstehe. Weil ich das gar nicht leben kann oder leben könnte!
Ehre und Selbstehre
Für mich ist die Ehre, besonders die Selbstehre, einer der höchsten Werte. Ein Wert, der noch weitaus höher gestellt ist als die Würde; die so oft zitierte und vielgepriesene Menschenwürde.
Jedoch, was mag das wohl eigentlich sein, diese Ehre? Eben nur eine erinnerungsreiche, sentimentale Empfindung mancher von der Zeit und der Mode Überholter, mancher Unverbesserlicher oder Zurückgebliebener oder doch mehr?
Was ist die Ehre?
Zur Beantwortung dieser Frage hilft leider auch Wikipedia (Ehre auf WIKIPEDIA) nur sehr begrenzt weiter. – Also ist die Ehre eben doch ein Fossil?
Nicht für mich. Und ich denke: Auch nicht für unsere Gesellschaft. Für keine Gesellschaft. Ehre ist überall dort von höchster Bedeutung, wo Menschen miteinander zusammenleben wollen oder zusammenleben müssen. Sofern sie gut miteinander zusammenleben wollen. Und ein wirkliches Bewusstsein von Ehre ist stets dann von höchster Bedeutung, wenn Menschen, je nach individuellem Entwicklungs- und Bildungsstand, mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen der persönlichen Ehre aufwarten.
Ohne ein Bewusstsein der Ehre, ein Ehrbewusstsein könnten wir uns gar nicht verständigen bzw. können wir uns gar nicht miteinander verständigen.
Was also ist die Ehre für mich?
Vorab noch: Ist es überhaupt von irgendeiner Relevanz, was ich für die Ehre und für ehrenvoll halte? Oder ist es nur die eigenbrötlerische Spinnerei eines Spinners?
Ich selbst würde die Frage ja nur allzu gerne nicht als sinniges, sondern als spinniges Getue betrachten, wenn mir massenweise Menschen begegnen würden, die mir sagen könnten, was die Ehre ist. Oder zumindest, was die Ehre für sie ihrer Auffassung nach ganz individuell und höchstpersönlich ist. Doch diese Menschen begegnen mir nicht.
Was mir jedoch massenhaft begegnet, sind Menschen, die, selbst wenn sie von Ehre sprechen, keinen Dunst davon zu haben scheinen, worüber sie eigentlich sprechen. Ich kann fragen und fragen … – sie, massenhaft Menschen, wissen nichts zu sagen.
Wenn sie es mir doch nur sagen könnten!
Die Allermeisten, die ich frage, wissen nicht einmal annähernd zu sagen, was die Ehre ist. Noch schlimmer. Für mich noch viel entsetzlicher: Sie wissen nicht einmal annähernd zu sagen, was für sie ganz persönlich ihre individuelle Ehre sein könnte.
Und ich stehe nur, ratlos wie ein begossener Pudel, da – und verstehe nicht, wie denn, um alles in der Welt, diese Menschen überhaupt leben können? Wie schaffen sie das? Was ist die oberste Maxime ihres Denkens, Tuns und Handelns?
Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht wissen, weil all diese Menschen es mir nicht sagen können. Und dass sie mir nichts, rein gar nichts über ihr Denken, Tun und Handeln sagen können, macht mir, zugegeben, – Angst. Gleichermaßen Angst macht es mir, dass ich all diese Menschen nicht verstehen und nicht begreifen kann. Dadurch bin ich ausgegrenzt. Ich fühle mich auch ausgegrenzt. Zwar nicht vereinsamt – schließlich gibt es ja, dem Himmel sei Dank, auch noch die anderen Menschen, die mit einem wirklichen Ehrbewusstsein. Doch innerhalb der Gesellschaft fühle ich mich sehr wohl einsam. Ich fühle mich „nicht zu Hause“, wie Ariadne von Schirach dies in ihrem Buch „Die psychotische Gesellschaft“ dies nennen würde.
Jetzt aber: Was also ist die Ehre?
Für mich ist die Ehre, vor allem die Selbstehre, die oberste Maxime meines Denkens, Tuns und Handelns, meines ganzen Lebens. Und „Ehre“ ist für mich die unbedingte Orientierung an dem, was gut ist. Die unbedingte, ja bedingungslose ständige Orientierung am Guten. Und das nicht nur hartnäckig im Denken, sondern eben auch hartnäckig im Tun und im Handeln. Wie sollte ich sonst auch nur, Morgen für Morgen, in den Spiegel schauen können? – Ich habe ja gar keine Wahl als mich am Guten zu orientieren wenn ich mir selbst begegnen können will.
Nun freute ich mich, wenn mich denn jemand fragen würde, was denn diese Orientierung am Guten sei. Oder was überhaupt das Gute selbst sei. Doch leider traut sich das, junge Menschen ausgenommen, niemand zu fragen. Warum? – Aus Scham? Aus Angst vor Selbstoffenbarung? Aus Angst, sich selbst eingestehen zu müssen, dass man nicht einmal weiß, was das Gute ist?
Also: Was ist das Gute?
Das Gute, oder einfacher: gut ist das, was das menschliche Leben fördert!
Nun mag manche oder mancher vielleicht murren und knurren, dass diese Antwort sehr allgemein gehalten sei. Natürlich ist sie das! Aber genau das ermöglicht ja ein weiteres Nachdenken. Sofern manche oder mancher das überhaupt will!
Anstehende, zu klärende Fragen wären nun, nur zum Beispiel:
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Geht es nun bei dieser Frage nur um mein Leben? – Was ist mit dem Leben der anderen Menschen und auch dem Leben der Tiere?
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Ist es nicht so, dass das, was gut für mich ist, nicht gut für jemanden anderes ist oder einem anderen Menschen sogar schadet?
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Ist das, was für mich gut ist, denn nicht zwangsläufig immer schlecht für die Natur und die Umwelt?
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…
Dieses sind wertvolle Fragen. Und noch wertvoller ist es natürlich, diese Fragen zu klären und zu beantworten. (SokratesBerlin)
Allein die Klärung und Beantwortung dieser Fragen wäre schon ein Zeichen für ein Festhalten am Guten. Denn, zwar ist es eine mühevolle Arbeit, doch ist diese Arbeit wertvoll und gut, weil sie etwas Gutes bewirkt: Erkenntnis nämlich. Und mit Sicherheit wird diese Arbeit der Klärung und das aus ihr erlangte Gut niemandem schaden. Im Gegenteil: Erkenntnis schadet niemandem und nützt allen! Bedingungslos!
Die Bedeutung der Ehre
Ich hatte es schon angedeutet: Ohne mich stets an meiner Ehre, dem hartnäckigen, bedingungslosen Festhalten am Guten zu orientieren, könnte ich nicht Tag für Tag in den Spiegel schauen und mich mit der für mich notwendigen Portion Selbstrespekt, die ich ja zum Leben notwendig brauche, betrachten.
Weniger vielleicht aufgrund eines schlechten Gewissens, – dem Gefühl, vielleicht etwas Unehrenhaftes, Unwürdiges begangen zu haben. Oder auch nur bei etwas Unehrenhaftem, Unwürdigem mitgemacht zu haben, mich nicht dagegen ausgesprochen und meinen Dienst für das Schlechte oder auch nur Unwürdige verweigert zu haben.
Gefühle der Ehre in der Jugend
Sicherlich: In jüngeren Lebensjahren war mein kritisches und selbstkritisches Gefühl, mein Lebensgefühl, mein Gewissen, auch mein hilfreicher Lebensratgeber. Doch nun, in späten Lebensjahren, Aufgrund meiner Erkenntnisse, ist es bei weitem nicht mehr ausschließlich mein Gefühl, das mich durch mein Leben leitet.
Wäre es nur mein Gefühl, könnte ich noch mit einer gewissen Bandbreite in meiner Orientierung leben. Denn ein Gefühl kann sich, wie alle Gefühle, ja auch mal irren.
Erkenntnisse der Ehre, Ehrbewusstsein im Alter
Nun ist aber jetzt, in meinen späten Lebensjahren, mein Ehrbewusstsein eine Erkenntnis. Nämlich die Erkenntnis des Guten, gegen die ich mich unmöglich auflehnen kann. Die Erkenntnis des Guten, an der ich bedingungslos und hartnäckig festhalten muss. Meiner Ehre wegen und um meiner Ehre willen.
Nicht um der Ehre willen, die mir vielleicht von irgend jemandem, von außerhalb meiner selbst, mir „verliehen“, „anerkannt“ oder „zugesprochen“ wird. Das alles ist ja nur irrige Schaumschlägerei zur Benebelung und Selbstbenebelung. Und in Wirklichkeit geht das ja gar nicht, Ehre von außerhalb zugesprochen zu bekommen. Es sei denn, man glaubte, dass ausgerechnet in diesem Punkte die Umwelt schlauer und weiser sei als man selbst.
Nein, nicht wegen irgendwelcher Menschen da draußen in der Welt … Allein um meiner Selbstehre und meines Ehrbewusstseins willen muss ich bedingungslos am Guten festhalten. In meinem Denken, in meinem Tun, in meinem Handeln. Wie sollte ich mir sonst noch begegnen können? Wie sonst sollte ich mich achten und lieben können?
…

Es wäre überaus peinlich, nackt durch die Innenstadt zu laufen. Würde ich nicht tun. Denn es würde meine Ehre verletzen: Diese äußere, gesellschaftliche, verlangte. Und die sehe ich ungern beschädigt, schäme mich!
Aber es gibt eine andere, die ich ganz tief innen trage. Einen Edelstein, unbekanntes, sehr hartes Material. Das ist meine. Meine Ehre und Würde, die mir ganz allein gehört, die man von außen nicht wahrnimmt, die niemand wirklich kennt. Sie würde nicht lachen, liefe ich nackt durch die Stadt – na, vielleicht schon – sondern einfach die Schultern zucken: was soll’s? Was hat sich geändert, und sprich mir bitte von Wichtigem?
Sie ist verwandt und verbandelt mit Freuds Über – Ich, aber nicht identisch. Denn offensichlich vermag sie auch andere Anteile zu integrieren.
Doch, Ehre ist wichtig. Die ganz persönliche, nicht irgend etwas, das mit etwelchen Gesellschftsregeln zu tun hat (obwohl man die, im Sinne eines halbwegs geordneten Zusammenlebens, nicht unbedingt mit Füßen treten muß – es sei denn, sie widersprechen direkt dem da drinnen!).
Wunderbar!
Herzlichen Dank!
(PS: Heute ist 3. Jahrestag für den Artikel)